20. August 2020

Graubünden, Auf Schällenurslis Spuren

Fünf Stunden Bus- und Bahnfahrt von Kirchlindach nach Guarda konnte die Männerriege nicht abschrecken, einen spannenden Ausflug ins Unterengadin zu unternehmen. Zum Leidwesen der Kartenspieler verfügten die Bahnabteile aller­dings nicht über genügend breite Tische, um mit einem Schieber die Fahrzeit zu verkürzen. Ein Schluck aus der gut gekühlten Weissweinflasche übernahm dann diese Funktion. Die SBB hatte nämlich mit Bauarbeiten auf der schnellen Bern-Zürich Strecke dafür gesorgt, dass wir wieder einmal die alte Burgdorf-Langenthal Linie erleben durften.

Joachim Salvisberg hatte den Ausflug sorgfältig geplant und inspiziert, doch 4½ Tage vor der Reise warf ihn ein Herzinfarkt aus dem Rennen. Kein Problem, sagte sich Role und übernahm voller Elan das Ruder. Nicolas unterstützte ihn mit der Organisation der Gruppenbillette und einem geschickten Taxi-Einsatz von Guarda Dorf zum Bahnhof hinunter. Er selber musste allerdings seine Anmeldung 2 Tage vorher ebenfalls stornieren wegen eines kurzfristigen Termins zur Operation des Schlüsselbeins. Am Ende waren es noch 11 von ursprünglich 14 Teilnehmern, die den Härtetest von 700 Höhenmetern in Angriff zu nehmen wagten.

Der Aufstieg zur Chamanna Tuoi SAC-Hütte begann mit einem ordentlichen Ab­stieg. Nun ja, das weiss jeder gesundheitsbewusste Leiter: Ein kräftezehrendes Training erfordert ein ordentliches Aufwärmen, oder in diesem Fall Warmlaufen. Und das war auch nötig, denn jetzt gings änne wieder ufe, und das nicht zu knapp. In angemessenem Bergtempo kletterte die muntere Schar den 25 Grad steilen Wild­heuhang hinauf. Uff, der Stundenhalt war höchst willkommen, denn die mitge­brachte Zwischenverpflegung war im Bauch leichter zu tragen als im Rucksack.

Beim nächsten Zwischenhalt versprach die Hinweistafel „Hier einzukehren lohnt sich“. Für die muntere Geisshirtin hat sich unsere Einkehr zweifellos gelohnt. Neben brunnengekühltem Bier und selbstgebrautem Kräutertee brachte sie auch einen kiloschweren Geisskäse an den Mann – der Mann heisst Ruedu. Ihm hat es nichts ausgemacht, das zusätzliche Gewicht im Gegenwind hochzuschleppen.

Um 15:45 Uhr, auf 2250 m.ü.M. empfing uns der Hüttenwart-Praktikant – unser Riegenleiter Wale mitsamt seiner aufgestellten Gattin Madeleine mit Tranksame und einem z’Vieriplättli, welches die müden Glieder augenblicklich erstarken liess.

Die Hütte hätte eigentlich 77 Plätze für Übernachtungen. Die Hütte ist ausgebucht, aber wegen der Pandemie-Vorschriften werden nicht alle Betten belegt. Für uns hatte das die vorteilhafte Folge, dass für jeden Gast ein Doppel-Schlag zur Verfü­gung stand. Die Dusche mochte man sich denken – es wäre sowieso nur kaltes Wasser herausgekommen.

Das Nachtessen verdient besondere Erwähnung. Ein würziges Kürbissüppchen sorgte für die nötige Gaumenfeuchtigkeit. Es folgte ein Gemüse-Teigwaren-Gratin, auf dem die dunkel leuchtenden Rindfleischstreifen das Wasser im Mund zusam­menlaufen liessen. Allerdings nur, bis sie im Mund gelandet waren – die vermeintli­chen Rindfleischstreifen entpuppten sich als Buchweizen-Nudeln. Die erste Enttäu­schung wich jedoch bald dem Staunen, was ein guter Koch für Vegetarier zustande bringt.

Der nächste Morgen empfing uns bei 6° mit blauem Himmel und einem Nebelmeer hoch über dem Inn. Die vier fittesten Männer trauten sich noch 450 weitere Höhen­meter zu und stiegen mit Wale und Madeleine zum Lai Blau hinauf, einem mär­chenhaft blauen, aber ziemlich kühlen Bergsee, wie jene bestätigt fanden, die sich darin abzukühlen wagten.

Die zweite Gruppe wählte den weniger spektakulären, eher gemütlichen Abstieg auf der gut ausgebauten Naturstrasse mit kaum mehr als 10 Grad Neigung, wie Role uns versichert hatte. Sie erreichte Guarda bereits um 11 Uhr – zu früh fürs Mittag­essen, aber gerade recht für den Apperitiv auf der Sonnenterrasse des Hotels Dalet. Dann aber wurde es Zeit für den mit Spannung erwarteten Teller mit Bratwurst und Rösti im Crusch Alba am langen Tisch hinter dem Haus. Hier hatten wir gestern bei der Ankunft den lange unterdrückten Durst gelöscht und von der aufgeweckten jun­gen Wirtin von dieser einmaligen, nach Hausrezept vom hiesigen Metzger herge­stellten Bratwurst erfahren. Das nächste Mal will der Koch dann auch die Pfanne noch ein paar Grad heisser einstellen, damit die Wurst nicht nur gut schmeckt, son­dern auch schön braun gebraten ist. Um 13:40 Uhr, nach 1’000 Höhenmetern Ab­stieg erreichte auch die erste Gruppe, immer noch fit und gut gelaunt, Guarda.

Wenn man als Gruppe am Sonntagnachmittag heimreist, ist man mit Bestimmtheit nicht allein im Zug. Das hatten unsere Reiseleiter sehr wohl bedacht und entspre­chende Reservationen gebucht. Das Gedränge auf dem Bahnhof von Landquart nahmen wir deshalb gelassen zur Kenntnis – wir genossen unsere freien Sitze im zweithintersten Wagen und erreichten schon fast erholt auf der gemütlichen alten Zürich-Bern Strecke die heimischen Gefilde.

Verfasst von Wisel und Role